Hoch oben auf dem Turm der Goetheschule lässt Dr. Prasert Trakansuphakon den Blick über Essen schweifen. Es ist ein besonderer Besuch am Montag, dem 30. September 2024. Der Thailänder ist gekommen, um als Vertreter der Pgakenyaw Association for Sustainable Development (PASD) eine in Deutschland einmalige Schulpartnerschaft zu begründen.
Bereits im letzten Schuljahr hatte Sabine Schielmann, Projektkoordinatorin des Instituts für Ökologie und Aktionsethnologie e. V. (INFOE), den Kontakt zur indigenen Gemeinschaft der Pgakenyaw hergestellt. Online lernten sich Schülerinnen und Schüler aus dem englischen Differenzierungskurs der Klasse 9 von Frau Heup und die Bewohner des Regenwalds in Nordthailand kennen, die sich selbst auch als „Karen” bezeichnen, was in ihrer Sprache „Menschen” bedeutet. Es entstand ein erstes Projekt über die Kultur der Karen mit Filmen, Musik, einer Graphic Novel und einem digitalen Austausch mit indigenen Jugendlichen, die die Khunmaeyod School besuchen.
Nun wird der Grundstein für eine mehrjährige Kooperation gelegt, die die Essener Schülerinnen und Schüler für Nachhaltigkeit sensibilisieren und ihnen den Kontakt zu Menschen ermöglichen soll, die in enger Verbundenheit mit der Natur leben, aber in westlichen Industriestaaten nur selten Gehör finden. „Da ist so viel Wissen in Form von Geschichten, Gesängen und religiösen Ritualen, basierend auf jahrhundertealten Erfahrungen und Beobachtungen über die Zusammenhänge in der Natur. Vieles könnte wahrscheinlich ohne Weiteres wissenschaftlich belegt werden,” erklärt Frau Lacroix ihrem Religionskurs, „wenn wir nur anfangen uns damit auseinanderzusetzen”. Dr. Trakansuphakon nickt lächelnd. „Kommt nach Thailand und wir zeigen Euch unsere Welt,” lädt er die Schülerinnen und Schüler ein.
Zunächst aber ist er gekommen, um selbst Neues zu lernen. Die deutsche Schule interessiert ihn. Im naturwissenschaftlichen Neubau trifft er Schülerinnen und Schüler aus Herrn Krälings Biologie-Leistungskurs der Jgst. 12.
Stolz zeigen ihm die Schülerinnen und Schüler ihre selbst gebauten Terrarien, die Lebensräume tropischer Insekten nachbilden, teils inklusive kräftiger Regengüsse, die per Zeitschaltuhr gesteuert werden.
„Sieht das aus wie im Regenwald?”, wollen die Schülerinnen und Schüler wissen. „Oh ja, ganz wie zu Hause”, lobt der Thailänder, zückt sein Smartphone und fotografiert die Dornschrecken, die die Schülerinnen und Schüler züchten, bevor er die Tiere entspannt auf seiner Hand spazieren lässt.
Als nächstes wird der Gast aus Asien im Schulgarten erwartet. „Möchten Sie einen unserer Äpfel probieren?”, fragt eine der Siebtklässlerinnen aus der Garten-AG. „Einfach pflücken und abrubbeln,” empfiehlt sie auf Englisch. „Unsere Äpfel muss man nicht waschen. Wir benutzen hier kein Gift.” Und während der Besucher mit Genuss seinen Apfel verspeist, muss er noch eine Menge Fragen beantworten. So erfahren die Schülerinnen und Schüler zum Beispiel, dass er zu einer Tagung in Barcelona angereist ist und nach einem Zwischenstopp in Essen zu einem weiteren Treffen mit Vertretern indigener Völker nach Frankfurt fahren wird.
Über die Arbeit, die Dr. Trakansuphakon leistet, um indigene Anliegen und Perspektiven bekannt zu machen, möchte auch der internationale Nachhaltigkeitsclub United Change mehr erfahren. Die Schülerinnen und Schüler fragen insbesondere nach Missverständnissen, Vorurteilen und Falschinformationen, mit denen Indigene konfrontiert sind. „Sehr herausfordernde Fragen. Ja, das gibt es leider in vielfältiger Weise. Wer die traditionelle Tracht der Karen trägt, erfährt oft Diskriminierung, zum Beispiel in der Schule oder im Gesundheitssystem. Man traut den Menschen nichts zu oder lässt sie lange auf eine Behandlung warten. Es hat auch viele Jahre gedauert, um bei Regierungsvertretern Verständnis für unsere Lebensweise zu gewinnen. Viele denken, wir würden dem Regenwald schaden. Dabei gehört es zur Weisheit unseres Volkes, dass wir so leben, dass Tiere und Pflanzen bewahrt werden.”
Dr. Trakansuphakon spricht mit den Schülerinnen und Schülern auch über die Nachteile, die seinem Volk durch den wachsenden Einfluss industrieller Landwirtschaft entstehen. „Monokulturen verdrängen die biologische Vielfalt, die in unserem traditionellen Anbau wichtig ist. Der Einsatz von Pestiziden lässt die Zahl von Krebserkrankungen unter thailändischen Bauern ansteigen.”
Am Ende hat die Zeit nicht gereicht, um alle Fragen zu beantworten. Vieles werden wir erst in den nächsten Jahren von und über einander lernen, wenn es um Klimawandel, das Ökosystem Wald und das traditionelle Wissen der Karen gehen wird. Der Kalender der Karen, mit den vielen Festen, die in Europa völlig unbekannt sind, wird als Erinnerung daran in der Schule bleiben, wie viel es für uns noch zu entdecken gibt.
Zum Abschluss begleiten einige Schülerinnen und Schüler Frau Schielmann (rechts) und Dr. Trakansuphakon ins Büro von Schulleiterin Dr. Nicola Haas (links), wo der Partnerschaftsvertrag unterschrieben wird.
Für einen Moment wird es feierlich still. Schließen wir also mit einem Karen-Vers, der zur Stimmung passt und uns erinnert, warum es solche Projekte braucht:
Wenn ein Gibbon stirbt, trauern sieben Wälder.
Wenn ein Hornvogel stirbt, verwaisen sieben Bayanbäume.
Nutze den Fluss mit Achtung und Bedacht;
nutze das Land und den Wald mit Achtung und Bedacht.
→ Mehr zum Projekt im Artikel ‘Goetheschüler kooperieren mit Bergvolk aus Nordthailand’, erschienen in der WAZ am 25.10.24.
Text: K. Heup
Fotos: K. Heup & M. Franke, Illustration von Karen-Schülerinnen und Schülern