Erasmus an der Emscher

Von Zeche Fritz zur Zeche Nordstern –

zu Fuß durch die vom Menschen gemachte Landschaft des Essener Emschertals

Schüler und Schülerinnen aus den Q1-Grundkursen von Frau Lacroix führten am Montag, den 25.9.2023, sechzig Schülerinnen und Schüler vom Gymnasium Tondern in Dänemark, auf Studienfahrt im Ruhrgebiet, zu Fuß durch das Emschertal. Als student guides hatten sie für die dänischen Besucher Informationen zu sieben Orten im Essener Emschertal vorbereitet. Nun konnten sie diese vor Ort selbst erleben und ihr Wissen mit den Besuchern teilen.

Los ging es in Altenessen-Nord am Standort der ehemaligen Zeche Fritz. Von ihr selbst ist nichts mehr zu sehen. Kleine Gewerbegebiete und Wohnhäuser belegen heute das Areal der ehemaligen Zeche. Man hat hier das Gefühl, fast außerhalb der Stadt zu sein und ist doch mitten im Ruhrgebiet (passender wäre eigentlich die Bezeichnung Emschergebiet). Wohngebäude gibt es zwar, aber sie stehen etwas verloren entlang der Hauptstraße, einen Ortskern gibt es nicht. Man ist ganz nah am Fluss, sieht ihn aber nicht.

Mitten in die Wiesen entlang des Flusses setzte man um 1900 die Kolonie Rahmdörne/Hohendahlstraße. Hier gab es den ersten Informationsinput für unsere Begleiter aus Dänemark. Diese Zechensiedlung entstand, um den Bergarbeitern der nahen Zeche Fritz und ihren Familien Wohnraum bereit zu stellen. Die Ensemblestruktur und die geplante Siedlungsanlage sind noch heute gut zu erkennen und strahlen dörfliche Gemütlichkeit aus, ganz so wie es von den Erbauern für die überwiegend ländliche Belegschaft der Zechen geplant war.

Weiter liefen wir zur Zweigertbrücke, die Altenessen-Nord mit Karnap verbindet und sowohl den Rhein-Herne-Kanal und die Emscher überspannt. Beide Gewässer, die hier dicht beieinander und parallel zueinander verlaufen, prägen das Emschertal. Und beide sind menschengemacht. Der Kanal wurde als Schifffahrtsweg für den Transport der schweren Güter aus der Montanindustrie gebaut und verband die mitten im Ruhrgebiet gelegenen Industriestandorte mit dem Rhein. Heute wird der Kanal auch von Yachten und der Weißen Flotte befahren. Fahrradwege säumen den Kanal. Er ist also zugleich Wasserstraße und Erholungsraum. Die Emscher war einmal ein kleines Wiesenflüsschen, das durch die ebene Landschaft in zahlreichen Windungen Richtung Westen floss, bis sich ab Ende des 19. Jahrhunderts ein radikaler Wandel vollzog. Die Emscher wurde schnurgerade ausgebaut, in ein Betonbett gelegt und mit steilen Böschungen und Deichen versehen. Hundert Jahre lang diente sie als zentraler Abwasserkanal für das mittlere Ruhrgebiet: Industrie- und Haushaltabwässer machten aus der Emscher den schmutzigsten und stinkendsten Fluss Europas – inmitten des großen Industrie- und Ballungsraums. Zu beiden Seiten war er eingezäunt und das Betreten der Uferbereiche war streng verboten, da lebensgefährlich.

Heute stinkt die Emscher nicht mehr. Ihr Wasser ist klar, aber ein natürlicher Fluss ist sie keineswegs. Ihr schnurgerader Verlauf und die steilen Böschungen sind sehr deutliche Merkmale ihrer Formung durch den Menschen. Aber ihr Betonbett ist entfernt, und die Abwässer fließen inzwischen unterirdisch. Anders als die Ufer des Rhein-Herne-Kanals sind die Ufer der Emscher in Essen noch immer nicht zugänglich. Eines Tages soll sich das ändern.

Entlang einer dicken Rohrleitung (Fernwärme vom Müllheizkraftwerk in Karnap) wanderten wir durch einen Waldstreifen, der sich parallel zum Kanal erstreckt, zur Schurenbachhalde. Sie liegt mitten im Tal von Emscher und Schurenbach. Ein Berg in der Flussaue? Das ist in einer Ebene eigentlich unnatürlich, aber das Emschertal ist eben eine durch und durch vom Menschen geformte Landschaft. Die Halde erhebt sich gut 50m über das Emschertal. Sie ist eine heute bewaldete Abraumhalde (Bergehalde) aus Gesteinsschutt. Material, das man unter Tage aus dem Weg räumen musste, um an die Kohleflöze zu gelangen. Dieses „tote Gestein“ füllte man nach dem Ende des Abbaus der Kohle nicht wieder in den Untergrund, sondern beließ es auf großen Halden an Ort und Stelle. So entstanden im Emschergebiet und weiter nördlich künstliche Berge. Zuerst siedelte sich hier die haldentypische Vegetation an, später wurden die Halden regelrecht aufgeforstet und zu Landschaftsbauwerken geformt. Die bewaldeten Hänge der Schurenbachhalde sind steil und von zahlreichen Wegen erschlossen, die Spaziergängern, Joggern und Moutainbikern Sport- und Freizeitraum sind.

Auf der kargen, unbewachsenen Gipfelebene der Halde erinnert Richard Serras Bramme für das Ruhrgebiet, eine 25m hohe Stahlplattenskulptur, an die monumentale Industriegeschichte des Ruhrgebiets und auch an die landschaftlichen Veränderungen, die mit dieser Industrie verbunden waren. Das großartige Panorama zeigt diese: Halden, stillgelegte wie operierende Industrieanlagen, Kraftwerke so weit der Blick reicht, das Häusermeer der umgebenden Städte – alles untermalt vom Dröhnen der A 42.

Von hier aus wanderten wir weiter durch den durchgrünten Uferstreifen des Rhein-Herne-Kanals bis zur Zeche Nordstern. Ihren poetischen Namen bekam sie, weil sie um 1860 die nördlichste der Ruhrgebietszechen war. Wie auf Zollverein wurden die jüngsten Gebäude der Anlage aus den frühen 1930er Jahren vom Architekten Fritz Schupp entworfen. Die Ähnlichkeit ist unverkennbar. Aber anders als auf Zeche Zollverein dienen die Gebäude der Zeche Nordstern heute als moderne Bürofläche des Wohnungsbauunternehmens Vivawest. Das Gelände rund um Nordstern ist seit 1998 zur weitläufigen Parklandschaft umgeformt worden, deren industrielle Prägung man nur noch erahnen kann. Die Emscher und der Rhein-Herne-Kanal durchtrennen zwar das Gebiet in zwei Teile, aber eine neue Brücke verbindet diese, um den Raum, der zur Zeit des Bergbaus unzugänglich war, der breiten Öffentlichkeit zu erschließen.

Den Abschluss unserer Exkursion bildete die Zechensiedlung der Zeche Nordstern. Ebenso wie die Kolonie Rahmdörne zu Beginn unserer Wanderung steht auch diese in unmittelbarer Nachbarschaft der ehemaligen Zeche, und auch sie hat noch heute eine sehr dörfliche Anmutung. Sogar die Stallgebäude hinter den Wohnhäusern sind noch erhalten. Ob darin aber noch Tiere gehalten werden, haben wir nicht überprüft.

Acht Kilometer zu Fuß durch das Emschertal– wir haben eine einzigartige Flusslandschaft erlebt, die sich vom Ruhrtal stark unterscheidet und hoffen, auch den Besuchern aus Tondern einen Zugang zu diesem charakteristischen Teil des „Ruhrpotts“ eröffnet zu haben. Danke an alle guides – gut gemacht!

Text und Bilder: Martina Lacroix