Als Gedenktag steht der 9. Mai für die Befreiung von Krieg und Nationalsozialismus 1945. Immer weniger Menschen können von dieser Zeit noch aus eigener Erinnerung berichten. Aber es gibt Zeugen der zweiten Generation, wie Dr. Simon Hannam, Neonatologe (Spezialist für Neugeborene) aus Großbritannien. Sein Vater war Karl Hirschland, geboren 1925. Dieser stammte aus Essen und besuchte in den 30er Jahren die Goetheschule in Rüttenscheid. Im Mai 1939 schickte Karls Vater ihn mit einem Kindertransport ins Ausland, in der Hoffnung, damit das Leben seines Sohnes retten zu können. Karl Hirschland überlebte, sah aber seine engsten Angehörigen nie wieder, denn diese wurden Opfer des NS-Regimes.
Dr. Simon Hannam wird mit seiner Familie am 14. Juni 2024 zur Stolpersteinverlegung für seinen Vater nach Essen reisen. Gestern beantwortete er per Videokonferenz die Fragen einiger Schülerinnen und Schüler aus der Stolperstein-AG von Herrn Herdemerten und Frau Heup. Die Schüler wollten unter anderem wissen, wie sich die frühe Entwurzelung und Trennung von der Familie auf Karl Hirschland ausgewirkt hatte und ob die Kinder Spuren eines Traumas beim Vater wahrgenommen hatten.
Karl Hirschland nahm später den Namen seiner britischen Pflegeeltern, Hannam, an. Als Charles Hannam leistete er Militärdienst in Indien, studierte in Cambridge und arbeitete als Lehrer und Hochschuldozent. Seinen Kindern waren die deutschen Wurzeln des Vaters lange nicht bewusst, da zu Hause ausschließlich Englisch gesprochen wurde. Seine Erinnerungen publizierte Karl/Charles schließlich unter dem Titel “A boy in your situation”. Der Buchtitel bezieht sich auf eine Zurechtweisung durch einen Lehrer der Goetheschule, der die Ansicht vertrat, ein jüdischer Junge dürfe seinen Mitschülern keine Streiche spielen und auch sonst in keiner Weise auffallen, zumal bereits zum Schuleintritt von Karl/Charles eine Quotenregelung für jüdische Kinder an öffentlichen Schulen galt. “Ein Junge in deiner Lage…” – dieser vorwurfsvolle Ausspruch hat Charles Hannam offensichtlich nicht losgelassen, spiegelt er doch die Selbstverständlichkeit, mit der schon Kindern das Gefühl vermittelt wurde, anders, unerwünscht oder gar minderwertig zu sein.
Text: K. Heup
Abbildung aus: Die Hirschlands, mit freundlicher Genehmigung von Norbert Fabisch.