Am 14. Juni 2024 wurde vor der Goetheschule ein Stolperstein für Karl Ludwig Hirschland (26. Juli 1925 – 28. Mai 2015) verlegt, der später den Namen seiner britischen Pflegeeltern annahm und sich in Charles Hannam umbenannte. In der jüdischen Volksschule war für den kleinen Karl (hintere Reihe rechts, stehend) die Welt noch in Ordnung. Das änderte sich jedoch 1936 mit dem Wechsel auf die weiterführende Schule.
An der Goetheschule, das merkte Karl sofort, war er nicht willkommen. Die Quote für jüdische Schüler an öffentlichen Schulen, die die Nationalsozialisten eingeführt hatten, hatte man eigentlich schon erfüllt und so äußerte der Klassenlehrer unumwunden seine Enttäuschung darüber, keine „rein arische” Klasse vor sich haben. Im Sportunterricht wurde Karl von Lehrern und Mitschülern regelmäßig schikaniert. Streiche, wie sie die anderen Jungen seiner Alters spielten, ließ man ihm nicht durchgehen. „Ein Junge in deiner Lage kann sich so etwas gar nicht leisten,“ wurde Karl getadelt. Diesen Ausspruch seines Lehrers verwendete er Jahre später als Titel eines Buches seiner dreibändigen Biografie: „A Boy in Your Situation…”.
Bei einem Besuch in Deutschland überließ Charles Hannam seine Erinnerungen, darunter auch dieses Video zu seiner Zeit an der Goetheschule, dem NS-Dokumentationszentrum Köln. Auf der Plattform Jugend! Deutschland 1918-1915 sind außerdem weitere Erinnerungsstücke zu sehen, darunter zahlreiche Briefe und Postkarten von Vater Max Hirschland.
An der Stolpersteinverlegung nahmen Karls/Charles’ Frau Sue Hannam teil, sein Sohn Simon Hannam, die Enkelkinder Ben und Alice, sowie Schwiegertochter Sophy Hannam.Nachdem Karls Mutter Gertrude an einer seltenen Krankheit verstorben war, wuchs Karl bei seinem Vater und Großvater auf. Als die Bank des Vaters während der Reichspogromnach 1938 verwüstet wurde, fasste dieser den Entschluss, den Sohn mit einem Kindertransport allein nach Großbritannien zu schicken. Lange Zeit verstand Karl nicht, dass der Vater ihn nicht freiwillig weggeben, sondern versucht hatte, sein Leben zu retten. Zu einer persönlichen Aussprache kam es nie, denn Karl sah seinen Vater und seinen Großvater nie wieder. Beide wurden von den Nationalsozialisten in Theresienstadt ermordet.
Karls eigene Kinder wussten jahrelang nicht, dass ihr Vater Charles deutsche Wurzeln hatte. Sie sollten unbeschwert aufwachsen und nicht mit dem belastet werden, was dieser während der NS-Zeit erlebt hatte. Es sei wohl nicht ungewöhnlich, meint sein Sohn, Dr. Simon Hannam, im Mai 2024 im Gespräch mit Schülerinnen und Schülern, dass Überlebende ihr Trauma zu verbergen versuchen.
Heute erinnern die Arbeit der Stolperstein-AG zu den Überlebenden der Shoah und ein Videoprojekt von Schülerinnen und Schülern der Klasse 9 an das Schicksal von Karl Ludwig Hirschland.
_________________________________________
Wir bedanken uns beim NS-Dokumentationszentrum Köln und der Alten Synagoge Essen für die Erlaubnis zur Verwendung der historischen Fotografien und des Video-Interviews mit Charles Hannam.
Karmen Heup