Im Oktober 2024 beschäftigten sich deutsche und französische Erasmus-Schülerinnen und -Schüler der Goetheschule und des Collège Jean Moulin d’Iwuy im Rahmen eines Geschichtsprojekts mit dem Schicksal des jungen britischen Offiziers William Lunn, der im Ersten Weltkrieg an der Somme kämpfte und Zeuge der monatelangen, verheerenden Schlacht in Nordfrankreich wurde.
Ihren französischen Partnern berichteten die deutschen Schülerinnen und Schüler unter anderem, dass William – genannt Billy – als Sohn von Sir George Lunn, dem Bürgermeister von Newcastle, schon vor Kriegsbeginn der Armee beigetreten war. Seine deutschstämmige Frau Ida (geb. Rücker) musste der 22-Jährige bei Ausbruch des Krieges in Großbritannien zurücklassen. Nur kurz sah sich das Paar auf Heimaturlaub, bevor Billy erneut an die Somme zurückkehren musste. Betroffenes Schweigen herrschte im Klassenzimmer, als die Schülerinnen und Schüler erfuhren, dass Billy den Krieg zwar überlebt hatte, seinen 1920 geborenen Sohn William aber nicht aufwachsen sah. Nur acht Jahre nach Kriegsende, im Juni 1926, starb Billy Lunn an den Folgen seiner Alkoholsucht, die er während des Krieges entwickelt hatte.
In Billys Kriegsfotoalbum und seinem Depeschenbuch sind viele Eindrücke der Kriegstage festgehalten, die für ihn und seine Kameraden eine ungeheure physische und psychische Belastung dargestellt haben müssen. Billy berichtet von der unzureichenden Versorgung der Soldaten seiner Kompanie, dem Trauma, das die Soldaten durch den andauernden Granatbeschuss erlitten, von deutschen Überläufern und den eigenen Kameraden, die an der Front starben und an die zum Teil nur noch die Fotografien erinnern, die er gesammelt hat und die den Alltag in den Schützengräben spiegeln.
Einem Eintrag in seinem Kriegsfotoalbum konnten die Schülerinnen und Schüler auch entnehmen, dass Billy in Thiepval stationiert war, ungefähr 70km von der Partnerschule in Iwuy entfernt.
Heute ist Thiepval ein ruhiges kleines Dorf in Nordfrankreich. Während des Ersten Weltkriegs waren die Häuser jedoch dem Erdboden gleichgemacht worden und statt grüner Wiesen und Felder durchzogen Schützengräber die Landschaft. Eine monumentale Gedenkstätte erinnert heute an über 72.000 Gefallene des britischen Commonwealth, die bisher namentlich identifiziert werden konnten.
Der Soldatenfriedhof hinter dem Denkmal, den die Schülerinnen und Schüler ebenfalls besuchten, markiert die Frontlinie am 1. Juli 1916, dem ersten Tag der Schlacht um die Somme.
Ausgewählte Arbeiten der Schülerinnen und Schüler über Billy Lunns Kriegserfahrungen werden wir nach Abschluss der Online-Phase des Projekts hier teilen.
Wir bedanken uns vielmals für die Unterstützung dieses Projektes durch die Familie Lunn aus Newcastle/Essen, die uns ihre Erinnerungsstücke zur Verfügung gestellt haben, bevor sie im nächsten Jahr an ein Museum gehen werden. Das Kriegsfotoalbum und die Berichte im Army Report Book waren wertvolle Quellen aus erster Hand, mit Hilfe derer die Schülerinnen und Schüler ein Stück weit selbst forschen und sich die Auswirkungen eines globalen Konflikts erschließen konnten, von dem man einmal hoffte, er werde die letzte große militärische Auseinandersetzung der Menschheitsgeschichte sein.
Text und Bilder: Karmen Heup, Martina Féaux de Lacroix (2024)