Die Geschichte Schleswigs

Vom 5. bis 9. Mai 2025 wartete ein besonderes Erasmus Plus-Projekt auf die Schülerinnen und Schüler unserer Geschichts-AG Europe Remembers. Unter dem Motto Turning Foes into Friends ging es um die Erforschung der einzigen deutschen Grenze, die demokratisch festgelegt worden ist.

Herzogtümer Schleswig, Holstein und Lauenburg (vor 1864). Malte89, Own work based, 12 September 2016. Licensed under the terms of the GNU Free Documentation License, Version 1.2

Das ehemalige Herzogtum Schleswig war lange umkämpftes Terrain zwischen Deutschen und Dänen. 1848 siegten die Preußen in der Schlacht bei Schleswig, 1867 bildeten sie die Provinz Schleswig-Holstein. Nach dem Ersten Weltkrieg aber geschah etwas Einmaliges in der Geschichte Dänemarks und Deutschlands: Die Bewohner der Region wurden in einer Volksabstimmung befragt, zu welcher Nation sie künftig gehören wollten. So wurde aus Tønder eine dänische Grenzstadt. Nach dem Zweiten Weltkrieg hätte die dänische Regierung diese Grenze zugunsten des eigenen Landes weiter nach Süden verschieben können. Frieden und Stabilität aber waren den Dänen wichtiger als zusätzliche Gebiete zu erhalten. So besteht die 1920 geschaffene Grenze zwischen Deutschland und Dänemark bis heute.

Aufgabe der 12 Schülerinnen und Schüler aus Essen war es herauszufinden, wie sehr die Teilung Schleswigs bis heute im Bewusstsein der Bevölkerung verankert ist. Dazu entwickelten die Schülerinnen und Schüler Fragebögen, die sich jeweils an Jugendliche und Erwachsene richteten. Am Tønder Gymnasium trafen sie auf über 30 Gleichaltrige, die teils im Klassenzimmer und auf dem Schulhof befragt wurden, und interviewten außerdem in der Fußgängerzone von Tønder 20 zufällig ausgewählte Erwachsene.

Bei der gemeinsamen Auswertung der Daten fielen den Schülerinnen und Schülern mehrere Punkte auf. Zunächst verwunderte sie, dass nicht alle Befragten den Begriff ‘Schleswig’ schon einmal gehört hatten.

“Even though every respondent knew that the border area was once contested between Germany and Denmark, not everyone had heard of the region.” (Student evaluation)

Dabei gehören die historischen Grenzkonflikte für die meisten bis heute zum Lehrplan, wie die Umfrage zeigte.

65% of the adults who had been interviewed in Tønder could remember school lessons about the history of Schleswig. (Student evaluation)

Among the students in Tønder 77% were aware that they had heard about the military conflicts between Germany and Denmark in school. (Student evaluation)

Die Frage nach dem genauen Zeitpunkt des Referendums, das die Entscheidung über die Teilung Schleswigs brachte, konnte die Mehrheit (69%) der befragten Jugendlichen  aus Tønder richtig beantworten, bei den Erwachsenen waren es sogar 79%. Dieses Kapitel der Geschichte ist somit ein wichtiger Teil der lokalen Erinnerungskultur.

Survey among teenagers at Tønder Gymnasium, May 2025

Street survey among adults in Tønder, May 2025

Es trauten sich allerdings nur die Hälfte der Erwachsenen zu, die Hintergründe, die zur Volksabstimmung führten, richtig einzuordnen, im Vergleich zu 62% der Jugendlichen. Dies könnte man damit erklären, dass die jungen Leute das Thema vielleicht erst kürzlich im Unterricht behandelt hatten. Es könnte aber auch auf eine veränderte Schwerpunktsetzung im Unterricht hindeuten, bei der Geschichtszahlen weniger relevant sein könnten als historische Zusammenhänge.

Street survey among adults in Tønder, May 2025

Die Erwachsenen erinnern sich wohl auch deshalb so gut, weil immerhin 40% jemanden kennen, der direkt von der Teilung Schleswigs betroffen war – oder dessen eigene Familienangehörige bzw. Vorfahren in den Krieg gegen die Deutschen ziehen mussten. Mehr als die Hälfte der Jugendlichen wiederum findet, dass das Thema in der Schule ausführlicher behandelt werden sollte.

Student survey at Tønder Gymnasium, May 2025

Alle befragten Gruppen gaben an, dass sich die Grenznähe auch in ihrem eigenen Leben widerspiegelt, sie Freunde oder Verwandte jenseits der Grenze haben, selbst Deutsch sprechen oder deutsche Filme und Musik konsumieren. Es fiel jedoch auf, dass mehr als die Hälfte der Schülerinnen und Schüler angab, keine persönlichen Kontakte zur deutschen Minderheit zu haben – und das obwohl in allen befragten Klassen Angehörige der deutschen Minderheit vertreten waren. Vielleicht – so vermuteten unsere Schüler – spielt die Staatsangehörigkeit im Schulalltag einfach keine Rolle.

Though North Schleswig hasn’t been part of Germany for the last 100 years, the students still feel connected with the German culture. It was also interesting that more than half of the students said that they didn’t know the German minority in Tønder, even though there are some German students in their class. (Student evaluation)

Interessant fanden die Schülerinnen und Schüler schließlich auch die unterschiedlichen Ergebnisse der Befragung bezüglich des Einflusses der EU. Während nur 45% der Erwachsenen glauben, dass der Beitritt zur Europäischen Union das Verhältnis zwischen Dänen und Deutschen in jüngster Zeit beeinflusst habe, sehen die Jugendlichen dies deutlich anders.

Street survey in Tønder, May 2025.

Unter den dänischen Schülerinnen und Schülern sind 77% überzeugt, dass sich die bilateralen Beziehungen durch die EU gewandelt haben. Auf Nachfrage gaben die befragten dänischen Jugendlichen an, dass sie die EU als positiven Einfluss betrachten, der das Zusammengehörigkeitsgefühl stärkt. Ob es hier unterschiedliche Haltungen zwischen den Generationen gibt, vielleicht mehr Euroskepsis unter Älteren oder eine größere Identifikation mit der Rolle als Europäer oder Europäerin unter Jüngeren, müssten weitere Befragungen untersuchen.

Young people have a more positive view on the impact of the European Union while adults seem to view it more sceptically. (Student evaluation)

Abschließend bewerteten die Schülerinnen und Schüler die Ergebnisse der Umfrage kritisch. Da die Zahl der befragten Jugendlichen am Tønder Gymnasium, das von über 700 Schülerinnen und Schüler besucht wird, und die Zahl der interviewten Erwachsenen in einem Ort mit über 7.000 Einwohnern, verhältnismäßig klein war, ist die Umfrage nicht repräsentativ. Auch waren nicht alle Altersgruppen gleichermaßen vertreten, wie einer Schülerin aufgefallen ist: “Our survey lasted 5-10 minutes per person, depending on how much information the people added to their answers because some people were very talkative and some only gave us short answers. When we went around the town, older people were very open, interested and friendly. They had much knowledge and sometimes even family members that had experienced the war. We were often rejected by younger people but most probably because they had to go to work or other appointments. In some rare cases people rejected us rudely but that didn’t happen often. What surprised us is that the people who were ready to be interviewed were mostly middle-aged and older, whereas the younger people didn’t seem equally interested.”

Auch wenn die Umfrage nur klein waren, konnten die Schülerinnen und Schüler doch im Projekt manches lernen. Zum Beispiel stellten sie fest, dass Krieg die Menschen in ihren Erinnerungen über Generationen hinweg prägt: “People learned about war in school but some claimed that they had learned about is mostly from their own family.” Und sie haben erfahren, wie wichtig demokratische Mitbestimmung ist, wenn Frieden langfristig gesichert werden soll. Wenn jede Stimme gehört wird, kann bei allen Schwierigkeiten, die einer Versöhnung entgegenstehen, das Bemühen um eine gerechte politische Lösung gelingen.

Auswertung: Paul Blücher, Amelie Faghfouri, Linus Prodi, Emilie Nousheri